Es sind diese Momente, für die du als Motorjournalist lebst: Anruf von der Audi-Presseabteilung in Ingolstadt. Sie hätten da einen Lamborghini Aventador, der vom Flughafen München zurück zu Lamborghini nach Sant’Agata di Bolognese transportiert werden müsse. Einzige Herausforderung: Der 700-PS-Bolide solle bestenfalls heile und in einem Stück bei den italienischen Kolleginnen und Kollegen ankommen. Gut, dachte ich mir. Italien ist immer eine Reise wert. Und ein Lamborghini ist eben ein Lamborghini. Noch während die eine Gehirnhälfte überlegte, wie ich gegebenenfalls etwas gelangweilt oder gar gestresst wirkend und umständlich formulieren sollte, um diese nicht ganz alltägliche Anfrage zu beantworten, um meinen Marktwert als Journalist möglichst hoch zu halten, hatte die andere die Frage schon beantwortet. Sie lautete: „Wird gemacht. Wo sind die Autoschlüssel?!“
Mit 300 Sachen im Lamborghini Aventador LP 700-4 nach Bozen
Ein paar Tage später lande ich nach kurzem Flug von Düsseldorf in München. Der orangefarbene Lamborghini Aventador LP 700-4 wartet bereits. Kurze Instruktion, kurzes Kennenlernen (Rundumsicht nicht vorhanden) und schon geht´s los Richtung Italien. Ein paar Kilometer vor der Grenze ist die Autobahn menschenleer. Wann, wenn nicht jetzt, denke ich mir und trete das Gaspedal erstmals voll durch. Die 12 Zylinder des 6,5-Liter V12-Mittelmotors werden geflutet, nur um sofort von abertausenden kleinen Explosionen erschüttert zu werden. Die Reifen krallen sich in den Asphalt, von allen Rädern angeschoben, stürmt der Aventador nach vorn. Ein Wahnsinn in orange. Bei 300 km/h lasse ich es gut sein und genieße auf der weiteren Fahrt lieber kurze Zwischensprints und den orkanartigen Sound dieses italienischen Meisterwerks.
Über Bozen geht es bei der ersten Etappe zunächst nach Bologna. Auf den letzten Kilometern hat es angefangen zu regnen. Jetzt kann der Allradantrieb des Aventador seine Stärken ausspielen. Immer gut, bei 700 PS einen performanten, Grip-bietenden Allradantrieb an Bord zu wissen. Spät abends rolle ich durch die nassen, höllisch glatten, da kopfsteinbepflasterten Gassen von Bologna. Die historische Hauptstadt der norditalienischen Region Emilia-Romagna begeistert mit ihrer wunderbaren und von einer Stadtmauer aus dem 16. Jahrhundert umgebenen Altstadt. Ich lasse den Tag mit einem ausgiebigen Restaurantbesuch und unprätentiös dargebotenen, dafür umso köstlicheren Antipasti ausklingen.
Es wird knapp
In der Regel bin ich ein pünktlicher Mensch, der höchst ungern zu spät kommt. Egal, ob Geschäftstermin oder Zahnarztbesuch. Doch dieses verdammte wunderbare Italien lässt mich mein Deutschsein vergessen. Am nächsten Morgen wird es deshalb plötzlich knapp – der Aventador LP 700-4 will schließlich pünktlich in die fachkundigen Hände von Lamborghini Automobile gegeben werden.
Die rund 30 Kilometer weite Fahrt nach Sant’Agata di Bolognese verläuft zunächst gut. Doch zu meinem großen Unglück kommt mir 15 Kilometer vor dem Ziel ein hartnäckiger Stau in die Quere. Den Lambo stehen lassen und zu Fuß weiter? Angesichts der wenig ermutigenden Distanz und der Tatsache, dass mein Auftrag nicht lautet, dieses wunderbare Fahrzeuge irgendwo am Straßenrand stehen zu lassen, sondern im Headquarter abzuliefern, entscheide ich mich dafür, mein Schicksal und die drohende Verspätung wie ein Mann zu ertragen.
Polizei-Eskorte nach Sant’Agata di Bolognese
10 Minuten und keine 25 Meter später werde ich auf zwei Motorrad-Polizisten aufmerksam. Beide als italienische Cops natürlich ausnehmend gut aussehend, überaus schlank, Dreitage-Bart, Sonnenbrille. Leicht gelangweilter Blick, irgendwo zwischen Arroganz und zur Schau getragener Coolness und Autorität. Mittagspause oder Arbeit, frage ich mich. Besonders aufmerksam beobachten die beiden den Stau nicht. Warum auch? Sogar dem dauertelefonierenden alten Mann hinter mir in seinem Fiat Punto würdigen die beiden keines Blicks. Immerhin haben die zwei Beamte ein ehrliches, zustimmendes, respektvolles Nicken für mich in meinem Aventador übrig.
Als ich nach fünf weiteren Minuten keinen Meter vorangekommen bin, rufe ich höflich hinüber „Scusi, signore“. Einer der beiden setzt sich tatsächlich in Bewegung und gesellt sich zu mir. Ich stottere mir einen zurecht, nuschle etwas von „appuntamento“ und „Lamborghini“ und „ritardo“ und wie wichtig es sei, dass ich rechtzeitig zu meinem Termin bei Lamborghini käme. Ob aus Mitleid oder der in der Region an jeder Ecke fühlbaren, stolzen Verbindung zu den beiden großen Marken des italienischen Sportwagenbaus: Die beiden Beamten der Polizia Stradale haben ein Einsehen und eskortieren mich tatsächlich am Stau vorbei, durch den Gegenverkehr bis zum Ortsschild von Sant’Agata di Bolognese. Bis zuletzt soll kein Lächeln über das Gesicht der beiden Motorrad-Cops huschen. Ein letztes Mal nicken sie mir zu, als sie wieder abdrehen. Vermutlich um den Stau weiter zu beobachten.
La dolce vita – in der Kantine von Lamborghini Automobili
Wenige Minuten später rolle ich auf den Parkplatz von Lamborghini Automobili direkt an der Via Modena. Der Pressemann ist überglücklich, den Aventador in einem Stück und ohne größere Blessuren entgegen zu nehmen. So glücklich, dass er mich zum Mittagessen und einen kleinen Rundgang auf dem Gelände einlädt. Nach meinem Espresso-und-Croissant-Frühstück vor ein paar Stunden habe ich nichts mehr gegessen. Die Einladung kommt mir also durchaus gelegen. Und wann hat man schon mal die Gelegenheit, sich die Produktion von Lamborghini anzusehen?
Zum Lunch geht es in die Kantine, die diesen Namen eigentlich nicht verdient. Zumindest nicht, wenn wir deutsche Kantinen-Maßstäbe ansetzen. Die beste Pasta in meinem bisherigen Leben hatte ich vor ein paar Jahren auf Sardinien gegessen. Serviert von einem stilvoll gekleideten Ober in einem durchaus gehobenen Ristorante. Doch diese hier bei Lamborghini kommt diesem Genuss erschreckend nahe. Zwar dürfte jedem halbwegs kulinarisch interessierten Italien-Fan bekannt sein, dass ehrlich-gutes Essen keinen Stern braucht. Doch, dass die möglicherweise zweitbeste Pasta der Welt ausgerechnet in der Werkskantine einer italienischen Autofabrik zu haben ist? Ein paar Happen frischer Pizza später, setzen wir uns Richtung Produktion in Bewegung.
Die Lamborghini-Produktion – irgendwo zwischen Manufaktur und Autofabrik
Wir passieren die Motorsport-Abteilung Squadra Corse und befinden uns schnell mittendrin. Eine top-durchorganisierte, blitzsaubere und moderne Fertigung erwartet uns – irgendwo zwischen Manufaktur und Fabrik. Von der V12-Linie, wo der Motor und der Rahmen des Aventador zum ersten Mal zusammenkommen, bis zur V10-Linie, wo der Huracán entsteht: Die Besichtigung der Produktionslinien ist eine einzigartige Reise zur Geburt der Lamborghini Sportwagen.
Nach Hause ohne einen Abstecher ins Lamborghini-Museum gemacht zu haben? Undenkbar. Auch wenn der nicht allzu ferne Rückflug aufs Stresslevel drückt. Der Lamborghini-Pressemann kennt eine Abkürzung – einmal quer durch das gar nicht mal so große Großraumbüro des Lamborghini Design-Studios Centro Stile Lamborghini. Hier arbeiten die größten Talente (zumindest sagt Lamborghini das) in Sachen Automobildesign aus aller Welt in engem Austausch mit dem technischen Büro an der perfekten Kombination aus Form und Funktionalität. Bevor ich zu viele Eindrücke aufnehmen kann, werde ich schon weiter Richtung Ausgang und Museum geschoben.
Eindrucksvolle Lamborghini-Sammlung im Mudetec-Museo
Das Lamborghini-Museum heißt nun „Mudetec-Museo delle Tecnologie Automobili Lamborghini“ und hat sich in den letzten Jahren zu einem Technologie-Museum entwickelt, in dem dir die faszinierende Geschichte und die ikonischen Modelle der Marke eindrucksvoll präsentiert werden. Von den ersten visionären Kreationen des Genies Ferruccio Lamborghini wie dem Miura und Countach, bis zu den neuesten Super-Sportwagen und exklusiven Fahrzeugen wie dem Hybrid-Konzeptwagen Asterion stehen hier echte Ikonen des Automobilbaus. Eine absolut eindrucksvolle Sammlung und der perfekte Abschluss einer außergewöhnlichen Vollgas-Reise.
Was zu erwarten war, passiert: Ich verpasse meinen Rückflug. Aber nie zuvor war ich so davon überzeugt, dass es jemals einen besseren Grund für einen verpassten Flieger gegeben haben könnte als heute.