Interview mit Silvano Michieli von Lamborghini: So meistern die Italiener die aktuellen Logistik-Herausforderungen

Silvano Michieli
Silvano Michieli

Corona-Pandemie, Halbleiterknappheit und der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine haben die internationalen Lieferketten durcheinandergewirbelt. Speziell die Automobilindustrie hatte mit den Unwägbarkeiten in der Logistik zu kämpfen. Lamborghini habe sich nicht nur den Herausforderungen gestellt, teilte das Unternehmen jüngst mit, es habe sogar Rekordergebnisse bei den Verkaufszahlen eingefahren. Die liegen zwar vor allem im Erfolg des Urus begründet. Doch dazu bedarf es kontinuierlich laufender Montagebänder. Unter anderem die enge Zusammenarbeit mit dem Zulieferer Leoni, der im Westen der Ukraine Verkabelungen für Lamborghini fertigt, war von entscheidender Bedeutung. Silvano Michieli, Chief Procurement Officer von Automobili Lamborghini, verrät im Interview, wie der Sportwagen-Hersteller erfolgreich durch die Krise kommt.

Signor Michieli, wie hat Lamborghini auf die Herausforderungen für die Lieferketten reagiert, die sich zuletzt aus der aktuellen geopolitischen Lage ergeben haben?

„Zuerst COVID-19, dann die Halbleiter-Problematik und nicht zuletzt der Konflikt in der Ukraine sowie protektionistische Politik: Vor diesem Hintergrund hat Lamborghini Maßnahmen zur Risikobegrenzung und Sicherung der Lieferkette ergriffen. Eine unserer Hauptinitiativen besteht darin, eine noch engere Bindung mit einigen unserer strategischen Lieferanten einzugehen. Die traditionellen Lieferanten-Kunden-Verhältnisse haben sich in diesem Zug mehr zu einer Partnerschaft entwickelt. Gleichzeitig stellen wir unsere Prozesse auf einen proaktiven, analytischen Ansatz um. Das ermöglicht es uns, jedwede neuen Probleme in der Branche zu antizipieren. Wir sind heute mehr denn je davon überzeugt, dass in einem internationalen Kontext mit seinen zunehmenden Herausforderungen und Krisen eine problemlösungsorientierte Herangehensweise essenziell ist.“

„Die Belegschaft von Leoni hält die Produktion trotz der aktuellen Lage in Gang und ist entschlossen, das auch weiterhin zu tun. Sie gehen ihrer Tätigkeit derzeit unter deutlich erschwerten Bedingungen nach, aber wir können uns nichtsdestotrotz darauf verlassen, dass das Ergebnis ihrer Arbeit qualitativ wie quantitativ unsere hohen Ansprüchen erfüllt. Lamborghini ist für diese starke Partnerschaft und die exzellente Leistung der Belegschaft von Leoni zutiefst dankbar.“

Wie wollen Sie vorgehen, wenn Leoni die Produktion unterbrechen muss?

„Unser Ansatz setzt auf Duplizierung statt auf Neuverteilung, wofür wir die Strategie der „dualen Produktion“ nutzen. Mit unserer Hilfe arbeiten unsere ukrainischen Zulieferer daran, dass einige ihrer anderen Werke in Europa auf die gleichen Produktionskapazitäten setzen können. Das bedeutet, dass die Beziehung mit unseren bewährten Zulieferern erhalten bleibt. Sie werden ihre Produktion in der Fabrik in der Ukraine fortsetzen, während wir den Prozess der Duplizierung des Werks außerhalb des Kriegsgebiets unterstützen. Auch wenn wir natürlich hoffen, dass es nicht dazu kommen wird, sind wir bereit für den Fall, dass der Krieg die Produktion in der Ukraine zum Erliegen bringt. Auf diese Weise bringen wir der Belegschaft unserer Lieferkette in der Ukraine ein Zeichen des Vertrauens und der Dankbarkeit entgegen. Sie setzen sich jeden Tag dafür ein, ihre und damit auch unsere Produktion zu sichern.“

Wie werden die Zulieferer von Lamborghini ausgewählt? Welche Merkmale und Anforderungen müssen sie erfüllen?

„Wir legen ausgesprochenen Wert auf die finanzielle Zuverlässigkeit und die Nachhaltigkeit unserer Lieferanten und ihrer Lieferketten. Natürlich muss der wirtschaftliche Aspekt berücksichtigt werden. Allerdings lässt sich zugleich nicht bestreiten, dass wir aufgrund der Krisen, die sich in den letzten Jahren auf globaler Ebene ereignet haben, mit erheblichen finanziellen Belastungen konfrontiert werden. Neben der Gewinnspanne achten wir heute ebenfalls genau auf die Solidität unserer Lieferanten. Die zunehmend partnerschaftlichen Beziehungen, die wir mit ihnen aufbauen, ermöglichen es ihnen, von vornherein unsere Anforderungen zu verstehen. So können sie zukünftige Lieferungen in Bezug auf Zeiten und Kosten optimieren. Neben finanzieller Stabilität achten wir auch auf Entwicklungsleistung und Innovationen, Qualität und Logistik im Sinne der Liefersicherheit.

Lamborghini gehört zum Volkswagen-Konzern. Was sind in Bezug auf Synergien die größten Vorteile dieser Beziehung für die Lieferkette?

„Teil eines Konzerns wie Volkswagen zu sein hat erhebliche Vorteile, was sich beispielsweise im Rahmen der Halbleiterkrise gezeigt hat. Lamborghini hat einen der höchsten Deckungsbeiträge innerhalb des Konzerns und wird deshalb bei der Belieferung priorisiert. Darüber hinaus verschafft uns der Konzern Zugang zu zahlreichen Technologien, die eine entscheidende Rolle in unserer Entwicklung spielen. Wir sprechen hier von Technologien, die für ein kleineres Unternehmen wie unseres normalerweise nicht zugänglich sind. Sie ermöglichen uns den exklusiven Zugriff auf innovative Lösungen und damit einen klaren Vorteil gegenüber unseren Mitbewerbern.“

Die Globalisierung, wie wir sie kennen, wird sich verändern. Viele Ökonomen und Historiker sprechen vom Niedergang der Globalisierung und dem Beginn eines Deglobalisierungstrends. Wie stehen Sie dazu?

„Ich glaube, dass Phänomene wie die Globalisierung unumkehrbar sind. Viele verschiedene geographische Gebiete tragen zum Produktionszyklus von Gegenständen bei, die heute hergestellt werden. Meiner Meinung nach ist die Idee einer extremen Deglobalisierung utopisch und kurzsichtig. Ich glaube eher daran, dass die derzeitigen Lieferprozesse und -perspektiven neu gedacht werden. Sie befinden sich aufgrund der neuen Umstände in jedem Fall bereits in einem natürlichen Evolutionsprozess.“

Quelle, Bilder: Lamborghini

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Moritz Nolte liebt seine Heimat NRW über alles: Moritz hat sein Büro im Bochumer Bermuda3Eck. In Dortmund läuft er regelmäßig um den Phoenixsee, in Hattingen fährt er Mountainbike. Zum Fußball geht er auf Schalke und zum Eishockey nach Herne. Auf der Rüttenscheider Straße in Essen gibt es für ihn hin und wieder ein Bier oder einen Gin Tonic. Zum Shoppen geht´s nach Düsseldorf und Freunde besucht er häufig in Köln. Und wenn er mal nicht in der Metropolregion Rhein-Ruhr unterwegs ist, ist Moritz leidenschaftlicher Sportwagen- und Trackday-Fahrer, Automotive-Autor und Herausgeber von THE DRIVER.